Spannende Autorenlesung
Auch in diesem Jahr hängen die Schülerinnen der beiden 8. Klassen wieder gebannt an den Lippen von Dirk Reinhardt,
als er aus seinem Roman über eine der gefährlichsten Reisen der Welt vorliest. Das Besondere an seinem Buch „Train Kids“, welches er am 6. Juli in der Nardini-Realschule vorstellt, ist nämlich, dass es die vier Jugendlichen, von deren abenteuerlicher Reise er berichtet, wirklich gibt. Denn die Erlebnisse der fünf fiktionalen Hauptpersonen des Buches basieren auf realen Vorbildern, und sind entstanden aus den Geschichten, welche die Jugendlichen dem Autor selbst erzählt haben. Dirk Reinhardt hat dazu Mexico bereist und eindrucksvolle Fotos mitgebracht. Sie zeigen die Kinder und Jugendlichen, die er dort getroffen hat – in all dem Elend, dem sie in Mittelamerika zu entkommen suchen, auf ihrer schwierigen und gefahrvollen Reise und auf den Zügen, die dem Buch den Namen „Train Kids“ gegeben haben.
Die „Train Kids“ gibt es wirklich
Jahr für Jahr machen sich schätzungsweise 300.000 Migranten aus Mittelamerika auf den Weg, darunter bis zu 100.000 allein reisende Kinder und Jugendliche. Orte, Begegnungen mit der korrupten Polizei, Banditenüberfälle und Konflikte mit den berüchtigten Banden der Maras beruhen auf echten Begebenheiten und diese Authentizität des Romans berührt die Zuhörerinnen der beiden achten Klassen sehr. Ein glückliches Ende ist für die Reise von Miguel, Emilio, Fernando, Angel und Jaz, ganz wie auch in der Realität, nicht in Sicht. Zigtausende der Migranten, insbesondere die auf sich gestellten Kinder und Jugendlichen, verschwinden, sie werden getötet oder fallen Unfällen, Banditen oder Drogenkartellen zum Opfer.
Aktualität der Thematik
In der anschließenden Fragerunde interessieren sich die Mädchen sehr für die Recherchen des Autors und seine Beweggründe, zu diesem Thema ein Buch zu schreiben. Herr Reinhardt berichtet von einem Geo-Artikel über einen jugendlichen Flüchtling, der ihn inspirierte, selbst nach Mittelamerika zu reisen und sich dort von der Situation der jugendlichen Geflüchteten ein Bild zu machen. Gerade im Hinblick auf die aktuelle Situation in der Ukraine hat das Thema leider wieder viel an Aktualität gewonnen, spielt sich das Drama von Flucht, Vertreibung und Migration im Zusammenhang mit dem Krieg nun nicht mehr nur im fernen Mittelamerika, sondern direkt an den Grenzen Europas ab.
„Edelweißpiraten“ – Zeitgeschichte für die 9. Klassen
Von einer der unbekannteren Widerstandsgruppen im Dritten Reich erzählt der Autor danach den beiden neunten Klassen. Er nimmt sie mit in die Zeit des Zweiten Weltkriegs, als sich im Ruhrgebiet eine anfangs unpolitische Gruppe von normalen Jugendlichen aus der Arbeiterschaft formiert, die zunächst „nur“ wegen ihrer freiheitlichen Gesinnung ins Visier des Naziregimes gerät. Anders als etwa die „Weiße Rose“, die konservativen Offiziere rund um Stauffenberg oder der Schreiner Georg Elser, die bis auf den heutigen Tag erinnert und geehrt werden, haben die „Edelweißpiraten“, wie sich die Jugendbewegung nennt, viele Jahre keine gesellschaftliche Anerkennung als Widerstandskämpfer bekommen, da sie zunächst in der jungen BRD als kleinkriminelle Unruhestifter verunglimpft und später ihr Engagement gegen den Unrechtsstaat wegen der „unpolitischen“ Ausrichtung in Frage gestellt wurde.
Aus freiheitlicher Gesinnung entwickelt sich die Ablehnung der HJ
Doch auch wenn sie zu Beginn vor allem aus persönlichen Gründen und Freiheitsliebe beginnen, die Wehrerziehung der Hitler-Jugend (HJ) zu verweigern, so entwickeln sie in der Auseinandersetzung ein politisches Bewusstsein und erkennen zunehmend deutlicher den menschenverachtenden Charakter des Regimes. Die Jungen und Mädchen, die sich aus Angst vor Bespitzelung nur mit Tarnnamen anreden, revoltieren mit den Waffen der Jugend: sie provozieren durch ihr Äußeres, ihre bunte Kleidung statt der HJ-Uniform, ihre längeren Haare statt des Militärschnitts. Gerade diese „Normalität“ der Jugendlichen, die sich „nur“ ihre private Freiheit nicht nehmen lassen wollen, macht es den Schülerinnen leicht, sich mit ihnen zu identifizieren. Doch aus der Provokation wird Ernst, in der Gegnerschaft zur Nazi-Diktatur radikalisieren sich die Edelweißpiraten und setzen Gesundheit und Leben aufs Spiel, um sich gegen die Repressalien zur Wehr zu setzen. Aus ihrer Ablehnung der HJ wird eine offene Feindschaft, in der es zu Straßenschlachten zwischen den Edelweißpiraten und den „Kindern des Führers“ (= der HJ) kommt.
Sie wollen nicht nach der Arbeit in den Rüstungsbetrieben noch militärischen Vorbereitungsdienst leisten und anschließend in den Krieg geschickt werden. Sie beginnen Flugblätter zu verbreiten und schreiben aufrührerische Parolen an Wände und Unterführungen. So wird etwa aus dem HJ-Spruch: „Deutschland wird leben, auch wenn wir sterben müssen“ ein „Deutschland wird leben, wenn ihr gestorben seid“. Einige Edelweißpiraten gehen noch weiter und bringen Züge, die den Nachschub an der Front garantieren sollen, zum Entgleisen. Natürlich geraten sie so ins Visier der Gestapo, die sie auch ins berüchtigte EL-De-Haus bringt und dort mit Drohungen und Schlägen versucht, ihnen Geständnisse abzuringen.
Als Vorbilder geeignet
Als der Autor die beklemmenden Textstellen der Verhöre vorliest, kann man eine Stecknadel zu Boden fallen hören und die ungestellte Frage „Wie hätte ich mich in dieser Situation verhalten“ steht greifbar im Raum. Die jugendlichen Helden des Buches bestehen jedoch die Feuerprobe und verraten nichts, sie zeigen Courage und Zusammenhalt und das, obwohl ihnen klar ist, dass ihre Taten vermutlich nichts an der Situation ändern werden. Aber für sie geht es darum, dass sie für sich selbst irgendetwas tun und sich danach noch in die Augen sehen können. In dieser Haltung, die natürlich letztendlich doch eine sehr politische ist, die für die Freiheit und Würde des Menschen eintritt und der Nazi-Diktatur trotz der Gefahr für Leib und Leben die Stirn bietet, sind die Edelweißpiraten für uns alle ein Vorbild, beweisen sie doch, dass der Widerstand gegen ein Unrechtsregime dort beginnt, wo sich Freiheitsliebe, Moral und Gewissen der Indoktrinierung und Verführung der Menschen entgegenstellen – zunächst scheinbar, ohne viel zu erreichen, in Wahrheit aber „wie ein kleiner Schneeball, aus dem am Ende eine ganze Lawine wird“.