Wachsam bleiben!
Im Rahmen der Förderung der Demokratieerziehung besuchte Herr Fritz Wallner am 12. Juli 23 die zehnten Klassen der Nardini-Realschule,
um über seine Recherchen zum gewaltsamen Tod seiner Verwandten Theres Wallner während des Nazi-Regimes zu berichten. Im Gepäck hatte er für jede Schülerin seine Veröffentlichung „Tod nach Aktenlage“, in welcher er anhand von erhaltenen Dokumenten den Leidensweg der jungen Frau, die als geisteskrank abqualifiziert wurde, nachzeichnet. An Theres Wallner erinnert heute in Schierling der einzige Stolperstein, der im Landkreis Regensburg verlegt wurde.
Geschichtlicher und politischer Hintergrund
Herr Wallner skizzierte zunächst die Umstände, in denen die bäuerliche Bevölkerung in Schierling in den 1910er bis 1930er Jahren lebte. Er ermöglicht es den Mädchen, ein wenig in diese Zeit einzutauchen, indem er das einfache Leben und die harte Arbeit beschreibt, welche nötig war, um die Familien über Wasser zu halten.
In diesen Jahren, die teils von Existenzangst und schwierigen Bedingungen geprägt waren, tritt Adolf Hitler mit dem Versprechen an, für Arbeit und Einkommen zu sorgen und erwirbt sich damit viele Sympathien. Dass er bereits in „Mein Kampf“ 1920 behinderten Menschen das Recht auf Leben abspricht, findet dagegen wenig Beachtung, zum Teil sicher deshalb, weil große Teile der Bevölkerung mit der Bewältigung des schwierigen Alltags bereits ausreichend beschäftigt sind.
Menschenverachtendes Euthanasieprogramm der Nazis
Auch ist die Idee der Euthanasie nicht grundsätzlich neu, bereits im 1. Weltkrieg wurden, basierend auf sozialdarwinistischen Ausführungen, in Zeiten der wirtschaftlichen Not die Rationen von Behinderten verringert, da „unproduktive Menschen“, also Alte, Behinderte und Kranke als Belastung angesehen und als minderwertig abqualifiziert wurden. Diesem Gedankengut folgend, fordert Hitler also schon 1929 die Beseitigung der Schwächsten zur „Kräftesteigerung der Nation“ und es gelingt ihm, mit gezielter Propaganda, welche die „enormen Kosten“ der Kranken für die „Volksgemeinschaft“ betont, Stimmung aufzubauen. Die Zustimmungswerte zur NSDAP steigen rasant, 1933 erhalten die Nazis, bei einer Wahlbeteiligung von 88,7%, 43,9% der Stimmen.
Nun geht es Schlag auf Schlag, mit dem Gesetz zur Verhinderung erbkranken Nachwuchses 1933 werden 400.000 Menschen sterilisiert, am Reichsparteitag 1935 wird der Beschluss gefasst, unheilbar Geisteskranke zu beseitigen und 1939 wird mit dem „Euthanasie-Erlaß“ das Schicksal vieler beeinträchtigter Menschen besiegelt. Insgesamt sind in der Zeit des Nationalsozialismus 200.000 Menschen als lebensunwertes Leben diesem Wahnsinn zum Opfer gefallen.
Die tragische Geschichte von Theres Wallner
Angesichts dieser schonungslosen Darstellung der politischen Mechanismen, die den Boden für dieses grauenvolle Verbrechen bereitet haben, sind die Mädchen nun sehr gespannt, die Geschichte von Theres Wallner zu hören. Sie lebte auf der Obermühle in der Nähe von Schierling und wuchs in einer großen Familie mit sechs Kindern auf. Harte Arbeit bestimmte auch hier den Alltag und sicherlich gab es wenig Raum für Aufmerksamkeit oder gar Problemlösung, da auch die Kinder mit anpacken mussten, damit die Familie über die Runden kam.
Theres fällt auf, als sie in der Jugend mit Einsetzen der ersten Menstruation anfallsartige Verwirrungszustände und Aggressionen gegen die Eltern entwickelt. Inwieweit diese Zustände durch mangelnde Aufklärung über die Vorgänge im Körper, die allgemeine Tabuisierung der Sexualität und die kirchliche Interpretation einer „Unreinheit“ der Frau hervorgerufen wurden, oder ob möglicherweise Missbrauchserfahrungen eine Rolle spielten, geht aus den erhaltenen Unterlagen nicht hervor.
Die Eltern sind überfordert und wenden sich in ihrer Not an die Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen, wo Theres Wallner 1914 eingeliefert wird. Dort wird ohne genauere Untersuchung eine Geisteskrankheit diagnostiziert und eine „Aufbewahrung“ in der Anstalt verordnet. Die Eltern schreiben noch Briefe, versuchen auch, ihre Tochter 1917 abzuholen, doch Theres flieht am Bahnhof, da sie offensichtlich nicht in die Familie zurück möchte. Sie verbringt insgesamt fast dreißig Jahre in Mainkofen, wird ab 1927 auch mit Näharbeiten und Bastflechten beschäftigt und wird als „im Allgemeinen gut zu haben“ beschrieben. 1934 wird sie nach Regensburg in die Heil- und Pflegeanstalt Karthaus-Prüll überstellt.
Vernichtung nach Aktenlage
Mit Beginn des Krieges 1939 wird beschlossen, „unheilbar Kranken den Gnadentod zu gewähren“ und mit der Aktion T4 beginnt der gezielte Massenmord an behinderten Menschen. Die Anstalten werden aufgefordert, Listen zu erstellen, doch dass sich die Ärzte in Regensburg weigern, hilft Theres Wallner nicht. In einer beispiellosen willkürlichen Auswahl „nach Aktenlage“, also ohne Untersuchung oder Begutachtung, entscheidet eine Delegation aus Berlin über Leben und Sterben der Anstaltsinsassen und ihr Name landet auf der Liste. Sie wird mit 641 weiteren Kranken aus Regensburg nach Hartheim in Österreich gebracht und dort ins Gas geschickt. Unter dem Vorwand, sie müssten duschen, gehen die ahnungs- und hilflosen Patienten ohne Widerstand in die Gaskammer. Die im Todeskampf ineinander verkrallten Leichen werden noch am selben Tag im Krematorium verbrannt, ihre Asche in die Donau geworfen.
Die Eltern von Theres Wallner erhielten ein Schreiben, in dem als Todesursache Sepsis vermerkt war und wurden aufgefordert, die Urne (mit unbekanntem Inhalt) abzuholen. Nachdem dies geschehen war, verliert sich jedoch ihre Spur. Bis heute ist der Verbleib der Urne unklar, möglicherweise sah sich die Familie nach der Schande, eine geisteskranke Tochter zu haben und der Schande, dass diese umgebracht wurde, nun so stigmatisiert, dass sie die weitere Schande, dass nämlich kein Gottesdienst gehalten werden durfte, da die Kirche die Einäscherung eines Leichnams verbot, nicht auch noch ertragen konnte.
Stolperstein mahnt zur Wachsamkeit
Heute, 94 Jahre nach dem Mord und den grauenvollen Verheerungen des Nazi-Regimes, erinnert noch der Stolperstein, der 2010 auf dem Schierlinger Rathausplatz verlegt wurde, an Theres Wallner, uns allen zur Mahnung, wachsam zu sein. Mit diesem dringenden Appell, sich nicht von Demagogen und scheinbar einfachen Lösungen verführen zu lassen, beendet Herr Wallner seinen äußerst eindringlichen und aufwühlenden Vortrag. Dass sein Aufruf auf fruchtbaren Boden gefallen ist, sieht man aber in der nachfolgenden Diskussion, wo die Mädchen Parallelen zur heutigen Zeit ziehen und damit eindeutig zeigen, dass die Botschaft angekommen ist.